Wer zufrieden ist, zahlt drauf. Zehn Prozent, mehr oder weniger, je nach Betrag, nach Sympathie, wie man es eben passend hat. Aber ein bisschen etwas muss sein. Oder gilt das nicht mehr?
Immer öfter fällt das Trinkgeld aus, oder es fällt knapp aus. Eine Folge der Teuerung? Viele Gastronomen berichten, dass das Trinkgeld weniger wird – und dass sie diese Tendenz schon seit Corona sehen.
„Preise exklusive 10 % Servicezuschag“ – seit ein Steakhouse am Wiener Naschmarkt eine Pauschale auf die Rechnung setzt, stellt man sich die Frage, ob eine Service-Pauschale den Ausfall des Bonus ausgleichen kann. Schließlich macht der bei Servicepersonal bis zur Hälfte des Einkommens aus.
Das kommt, trotz aller Aufregung, eher nicht. Trinkgeld soll weiter ein Motivator, ein Bonus für gute Arbeit sein, den Grundlohn auf den Rücken des Gastes abwälzen, das wolle man nicht, sagt etwa Christopher Gustavson vom Salettl am Campus Altes AKH. Und: Den Gästen die freie Entscheidung zu nehmen komme wohl schlecht an, erwartet er.
Auch im Schweizerhaus etwa will man Trinkgeld als „Barometer für Zufriedenheit und Wertschätzung“ den Gästen überlassen. Christina Hummel, Chefin des gleichnamigen Cafés in der Josefstadt, bleibt ebenso beim freiwilligen Trinkgeld, gestaltet aber Preise so, dass sich eine passende Summe anbietet, und Touristen werden in der internationalen Karte explizit darauf hingewiesen, dass kein Trinkgeld zu geben Unzufriedenheit signalisiere.
Trinkgeld bleibt also, so hört man von vielen, eine freiwillige Leistung. Eine Pauschale sehen Wiens Wirte nicht als Lösung für den Ausfall.
Aber dass das Trinkgeld fehlt, ist ohnehin nur Teil eines größeren Problems der Branche. Es wird gespart, weniger ausgegangen, im Lokal weniger konsumiert – nur ein Gang, nur eine Vorspeise, ein Getränk weniger – das berichten viele. Zahlreiche Gastro-Pleiten verdeutlichen das Problem. Das Café Français in der Währinger Straße, der Dogenhof in der Praterstraße, die Halle im Museumsquartier zählen zu den prominenten Beispielen der jüngeren Vergangenheit.
Seit der Pandemie ist das Nachtleben, das Ausgehen, das Gastro-Leben nicht mehr, was es war. „Die klassische Gastronomie kämpft um jeden Gast“, sagt Andreas Wiesmüller. „Wenn man sich umhört, sagen das viele, die ehrlich über ihre Situation sprechen.“
Wiesmüller, Chef des Heuer am Karlsplatz, Haubenlokal in bester Lage, sagt, man spüre, dass generell gespart wird. „Es gibt weniger Trinkgeld, der Gästedruck ist deutlich geringer als vor der Pandemie, wir merken es auch in der Konsumation“, sagt Wiesmüller. Die Zahl der Mittagsgäste ist, wie man das von vielen Innenstadt-Lokalen hört, deutlich gesunken. Auch der klassische After-Work-Drink sei etwas abgekommen. Und waren Lokale früher oft bis zwei in der Früh voll, so gehen heute viele gegen Mitternacht nach Hause.
Ein Effekt der Teuerung? Neue Gewohnheiten nach Corona? „Man muss heute viel anbieten, um die Leute vor dem Ofen hervorzuholen“, sagt Wiesmüller. Hauben-Menüs um Aktionspreise etwa hätten gut funktioniert. Aber ohne die sei die Nachfrage wieder weg. Auch Touristen sparen, mitunter stehen sie nach einem Blick auf die Preislisten wieder auf, erzählt Wiesmüller, das würden ihm auch andere Innenstadt-Wirte erzählen.
Dass seit der Pandemie vieles anders ist, sagt auch Josef Bitzinger, der unter anderem den berühmten Würstelstand bei der Oper führt. „Es hat sich vieles verändert, die gesamte Gastronomie ist weit von dem entfernt, wie es vorher war“, sagt Bitzinger. Und Trinkgeld sei „sporadisch“ geworden. Er setzt das Trinkgeld nun auf die Rechnung – das hat ihm zuletzt viel Kritik, viel Aufregung eingebracht.
Bitzinger fühlt sich missverstanden. „Ich verstehe die Aufregung nicht, ich habe nur etwas für die Mitarbeiter getan.“ Auf seiner Preisliste, beim Würstelstand, stünden die Preise so, wie man sie dann zu zahlen hat – nur auf der Rechnung scheine auf, dass Bitzinger einen Teil als Trinkgeld verbucht. „Jeder Preis wird verrechnet, wie er ausgezeichnet ist. Steht da beispielsweise fünf Euro, steht dann auf der Rechnung, dass es 4,80 Euro für das Produkt, 20 Cent für den Service sind. So einfach ist das. Wir zahlen ordentlich, aber das ist eine Anerkennung, Trinkgeld geht über das Monetäre hinaus. Aber es ist seit der Pandemie selten geworden. Dem Problem entkommt keiner“, sagt Bitzinger.
Schule machen wird das Beispiel aber eher nicht. Während eine Service-Pauschale in den USA oder Kanada etwa Standard ist, würden es österreichische Gäste nicht akzeptieren, heißt es.
„Ich könnte mich mit einer Pauschale anfreunden, international ist das ja durchaus üblich, aber ich denke, dass das bei Wiener Gästen nicht gut ankommen würde“, meint etwa Paul Kolarik von den Kolarik-Betrieben im Prater (Praterfee, Luftburg). Eine Überlegung sei, eine Pauschale etwa bei größeren Gruppen zu inkludieren. Schließlich ist das Trinkgeld oft niedriger, je höher die Rechnung ausfällt – vor allem, wenn diese einer übernimmt. Auch bei Firmen-Events ist fehlendes Trinkgeld oft ein Problem. Betriebe budgetieren es nicht, oder es ist nur ein geringer Betrag.
Ein Thema ist auch Kartenzahlung – hier behelfen sich Wirte, indem das Zahl-Terminal nach „Tip“ fragt. Bei Touristen ist es vielerorts üblich, dass Kellner mit einem „Service not included“ auf das erwartete Extra hinweisen.
Schließlich führt ein Weglassen zu beachtlichen Gehaltseinbußen für das Personal. Wie viel eine Servicekraft verdient, hängt von vielen Faktoren ab. Art des Lokals, Lage, Dienstalter, usw. Geht man bei einer Vollzeit-Stelle von 1500 bis 2000 Euro netto für eine Kellnerin oder einen Kellner aus, so kommen besonders umsichtige, freundliche, bei Stammgästen beliebte Mitarbeiter inklusive Trinkgeld mitunter auf das Doppelte.
Und direkt übergeben ist es steuerfrei. „Wird ein fixer Aufschlag verrechnet, ist das voll steuerpflichtig. Keine sehr prickelnde Idee“, so drückt Mario Pulker, der Sprecher der Gastronomen in der Wirtschaftskammer, aus, wie wenig er von Pauschalen hält. Eine Handvoll Betriebe würden eine solche verrechnen. Andere, sagt er, hätten das versucht und wieder aufgehört. Und eine klare Judikatur zu pauschaliertem Trinkgeld gebe es nicht. Vermutlich sei es aber als betriebliche Einnahme zu verrechnen und voll zu versteuern. „Irgendwann wird es ein OGH-Urteil dazu geben.“
„Was ich total ablehne, ist die Aussage, Kellnerinnen und Kellner leben vom Trinkgeld. Nein. Sie leben vom Kollektivvertragslohn“, sagt Pulker. Das Extrageld sei eine Anerkennung, ein Bonus.
Für das Personal hat der steuerfreie Anteil am Gehalt freilich zwei Seiten: Im Hinblick auf Arbeitslosengeld, auf Wochen- und Kinderbetreuungsgeld oder auf die Pension schlägt dieser nicht zu Buche – diese Leistungen fallen dann daher auch geringer aus. Aber für Studenten ist das formal niedrige Einkommen ein Vorteil: Sie könnten andernfalls über Hochbemessungsgrenzen rutschen und Stipendien oder Kinderbeihilfen verlieren.
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