KLEINOD AM BROCKEN

Botanik

Kleinod am Brocken

In Norddeutschlands höchstgelegenem Garten im Harz gedeihen rund 1500 subalpine Pflanzen aus aller Welt, die es rau und windig mögen. Am 13. Mai ist Saisoneröffnung in dem 1890 angelegten Bergpark.

Die Atmosphäre wirkt fast gespenstisch. Tief hängt der Nebel über der Brockenkuppe, die Spitze des Sendemastes ist kaum zu sehen. Der schwarze Dampf der Brockenlokomotive mischt sich in die Nebelschwaden, ein tiefes „Tuut Tuut“ hallt über den Berg. Es ist noch kühl, sieben Grad, nur wenige Wanderer sind unterwegs. Im Brockengarten dagegen wird schon fleißig gewerkelt – die Saisoneröffnung am 13. Mai steht bevor.

Katja Osterloh leitet seit Juli den subalpinen Garten an der Grenze von Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Die 41-Jährige ist Diplom-Ingenieurin für Naturschutz und Landschaftsplanung und für Botanik, Vegetation und Moorökologie im Nationalpark Harz zuständig. „Die klimatischen Bedingungen hier oben entsprechen ungefähr 2000 Höhenmetern in den Alpen“, sagt sie.

Gemeinsam mit ihren Kollegen Holger Bührig und Ingo Matscheroth verteilt Osterloh frische Erde, beschneidet Pflanzen, wässert. Vorsichtig schreitet die Botanikerin über den Granitboden und felsige Steine und nimmt mit gesenktem Kopf und prüfendem Auge die Pflanzen in den Blick: Alpenampfer, Silberwurz, gelber Enzian, Krautweide, Moosbeeren, Fettkraut – und nach Anis duftende Süßdolden.

Übernommen hat Katja Osterloh die Verantwortung für das Pflanzenkleinod von Gunter Karste. Er hatte den im Jahre 1890 vom Direktor des Botanischen Gartens der Georg-August-Universität Göttingen angelegten Garten nach der deutschen Wiedervereinigung neu aufgebaut und mehr als drei Jahrzehnte geleitet.

„1990 waren von den ursprünglich rund 1400 Pflanzenarten nur noch etwa 100 übrig“, sagt Katja Osterloh, die aus Dessau stammt. Die Weltkriege und die Zeit, in der der Brocken militärisches Sperrgebiet war und keinerlei gärtnerische Pflege stattfand, hatten ihren Tribut gefordert. Heute hat das Biotop wieder zur alten Form zurückgefunden: rund 1500 Pflanzen kann bestaunen, wer den Garten besucht. Viele von ihnen sind zart, fragil, klein. Sie wachsen niedrig, polsterartig über Steine. Winzige behaarte oder mit einer Wachsschicht versehene Blätter lugen aus den Steinritzen. Fast wirkt es, als duckten sie sich weg. „Der Eindruck täuscht nicht“, sagt Katja Osterloh. Eis, Schnee, Hitze - die klimatischen Bedingungen auf der höchsten Erhebung Norddeutschlands seien herausfordernd, die Pflanzen passten sich dem an. Dreieinhalb Grad betrage die Temperatur im Jahresmittel. Dazu rasiermesserscharfer Wind.

Dabei ist es wichtig, das Pflanzenwachstum in Schach zu halten. Denn nur so können die Besucher:innen die Hochgebirgspflanzen getrennt voneinander wahrnehmen und den Informationen auf den kleinen Schildern zuordnen. Sie geben Auskunft über die Pflanzen: Familie, Gattung, deutscher Name, Verbreitungsgebiet.

Die steinernen Beete sind geografisch angeordnet. Es gibt jeweils ein Beet für Amerika, Asien, den Kaukasus, den Balkan und den Alpenraum – sowie ein Harzbeet. Hier wachsen die Brockenanemone und das subarktische Brockenhabichtskraut – beide sind deutschlandweit nur hier auf der Brockenkuppe zu finden.

Der Brockengarten ist ein Schulungs-, Naturschutz- und Versuchsgarten. Zum Schutz seltener und vom Aussterben bedrohter Pflanzen kooperieren die Botaniker:innen mit den Universitäten in Halle an der Saale und Göttingen. In Halle werden Katja Osterloh zufolge unter anderem die Samen des Brockengartens in Datenbanken archiviert.

Bewahren, beobachten, analysieren, dokumentieren – das gehört zum Beruf von Katja Osterloh und ihren Kollegen. Auch den Klimawandel haben sie mit der benachbarten Wetterstation im Blick. Noch hielten sich die Auswirkungen aber in Grenzen, sagt Osterloh. Julia Pennigsdorf, epd

2024-05-09T15:12:40Z dg43tfdfdgfd