PFEFFERMINZPELARGONIE: VERFüHRT VON BLäTTERDUFT [PREMIUM]

Es gibt eine Passage in Hermann Hesses „Der Steppenwolf“, da sitzt der Protagonist Harry Haller auf den Stufen eines Treppenhauses. Er ist versunken in den Anblick der Pflanzen, die von der Witwe, die hinter der Tür wohnt, gepflegt werden. „Riechen Sie es nicht auch?“, fragt er den verwunderten Erzähler, der ihn dort im Vorübergehen ertappt: „Wie da der Geruch von Bodenwachs und ein schwacher Nachklang von Terpentin zusammen mit dem Mahagoni, den abgewaschenen Pflanzenblättern und allem einen Duft ergibt, einen Superlativ von bürgerlicher Reinheit, von Sorgfalt und Genauigkeit, von Pflichterfüllung und Treue im Kleinen.“

Der Roman ist im Jahr 1927 erschienen, und deshalb hätte es gut sein können, dass der Steppenwolf am Blätterduft von Pelargonien schnüffelte. Denn diese standen damals bei den sogenannten einfachen Leuten hoch in Mode, weil sie leicht zu ziehen sind, vor allem aber, weil man sie durch Stecklinge in Windeseile vermehren kann. Die Blätter aller Arten der vorwiegend in Südafrika beheimateten Gattung geben bei Berührung die sonderbarsten Düfte ab, auch diejenigen Sorten, die man wegen ihres verlässlichen Blütenflors gezüchtet hat.

Unscheinbar und klein. Doch neben den berühmten und allseits beliebten Vielblüherinnen gibt es auch die verführerische Gruppe der Duftpelargonien. Sie blühen zwar auch recht hübsch und in den unterschiedlichsten Farben und Formen, doch ihre Blüten sind eher unscheinbar und klein. Ihr Haupttalent liegt vielmehr im aufregenden Geruchsspektrum ihrer Blätter. Die erste Sorte, die hierzulande bereits vor geraumer Zeit in Mode gekommen ist und allseits bekannt sein dürfte, ist die wucherfreudige, großformatige Citronella mit tief gezackten Blättern und zartrosa Blütchen. Ich bekenne, vor vielen Jahren einen Ableger der Zitronigen in einem Wiener Stiegenhaus im Vorübergehen erbeutet zu haben, was sicher keinem Menschen je aufgefallen ist, weil die Pflanze riesengroß war.

Seither begleiten mich die Duftigen durch die Sommer, manche von ihnen auch durch den Winter, denn sie lassen sich einfach am sonnigen Fensterbrett als Zimmerpflanze überwintern. Es gibt Sorten, die riechen wie altmodische Rosen, wie etwa Lady Plymouth, die noch dazu mit schönem, graugrünem Laub samt goldigem Rand punktet. Andere, wie die Sorte Paton's unique, duften nach Kiefern, oder, wie die Sorte Ashby, nach Zedern. Es gibt winzig kleine und riesengroße Duftpelargoniensorten. Sie riechen nach Weihrauch oder Pfirsich, nach Orangen, Muskat, sogar Schokolade.

Vergangenen Herbst befand ich mich wieder einmal in einem Stiegenhaus, allerdings in einem sehr speziellen, denn es gehörte zum Steirereck am Pogusch. Dort stand ein Topf mit einem besonders prächtigen Pflanzengeschöpf. Es nahm einen geräumigen Platz ein und streckte flauschige Samtblätter in Dunkelgrün nach allen Seiten. Eine Schönheit!

Warum der Gartenmensch stets in Versuchung ist, an Blättern zu rubbeln und daran zu riechen, weiß ich nicht. Diese Pflanze roch jedenfalls überraschend intensiv nach Pfefferminze, und diesmal erbeutete ich einen Ableger auf anständige Art, denn der Hausherr wurde zuvor um Erlaubnis gebeten.

Obwohl die Pflanze nicht danach aussah, handelte es sich, wie Recherchen ergaben, um eine Pfefferminzduftpelargonie. Der Herbst ist keine günstige Zeit für Stecklinge, deshalb ist das Stämmchen vorsichtshalber ins Wasser gekommen, weil man auf diese Weise dem Entstehen der neuen Wurzeln zuschauen kann und es als die verlässlichere Variante der Vermehrung erschienen ist. Das war ein Irrglaube. Nach zwei Monaten war kein einziges Würzelchen in Sicht, auch die Blätter schauten nicht mehr sehr kräftig aus.

Niemals aufgeben. Doch nie sollst du aufgeben. Deshalb her mit einem Blumentopf und rein in die Erde mit dem Schwächling. Ein Plastikhäubchen drübergestülpt und abgewartet. Seither ist der Beweis erbracht, dass Pelargonien viel besser wurzeln, wenn sie gleich in die Erde gesteckt werden. Nach kaum zwei Wochen war die Pflanze sichtlich erholt und begann auszutreiben.

Wie es sich für alle Pelargonien gehört, verlangt die nun bereits recht kräftige Pfefferminzduftende viel Sonne. Keinesfalls wollen die „Geranien“, wie sie auch oft genannt werden, zu viel Gießwasser, und sie wollen auch sparsam gedüngt werden, dann gedeihen sie bestimmt. Harry Haller, um auch dieses Rätsel zu lösen, war jedoch nicht vom Pelargonienduft gebannt, sondern von einer Azalee und einer Araukarie. Aber das ist eigentlich egal.

2023-03-18T19:43:21Z dg43tfdfdgfd