"ICH WILL MICH TRENNEN, ABER NICHT DIE FAMILIE ZERSTöREN"

Psychotherapeut Hans Otto-Thomashoff und Familienberaterin Sandra Teml-Wall beantworten Fragen von STANDARD-Leserinnen und -Lesern zu den Themen Familie, Beziehung und Erziehung.

Frage:

"Lieber Familienrat, ich bin verzweifelt. Die letzten Wochen oder Monate sind wieder einmal eine große Belastung für mich. Mein Mann und ich streiten andauernd. Ich leide, und die Kinder leiden. Die sind jetzt sechs und neun Jahre alt und bekommen alles mit. Wenn er beruflich länger weg ist, kehrt bei uns Ruhe ein. Dann ist es fast harmonisch, weil er immer so gestresst ist. Wir haben sogar schon mehrmals Paartherapie versucht. Aber irgendwie hat das nie so richtig funktioniert, weil er meist keine Zeit dafür hatte ... dann haben wir wieder aufgehört.

Jetzt denke ich immer öfter darüber nach, ob es nicht besser wäre, wenn wir uns trennen. Nur wäre es finanziell für mich extrem schwierig bis unmöglich. Mein Mann ist selbstständig, er arbeitet zwar sehr viel, hat aber kaum Einkommen. Sollten wir uns trennen, habe sich ich hauptsächlich die Kinder. Weil er gar keine Zeit hat, sich zu kümmern. Er würde mir wahrscheinlich keine Alimente zahlen können, weil er offiziell gar keinen Gewinn macht. Und alleine könnte ich mir keine Mietwohnung finanzieren. Zumindest nicht eine, die für mich plus zwei Kinder geeignet ist. Und die müsste man aktuell erst einmal finden. Es ist irrsinnig schwer, etwas Leistbares zu finden.

Wenn ich ihm meine Lage erkläre, ist er nicht gerade einsichtig. Er sagt, er tut eh alles. Er würde sich nie trennen. Das hat er schon mehrmals gesagt. Für die Kinder wäre es sicher auch schlimm, wenn wir uns scheiden lassen. Und dann bin ich an allem schuld, wenn ich gehe. Aber ich bin nicht glücklich. Was soll ich tun?“

Antwort von Sandra Teml-Wall:

Um diese Frage zu erforschen, denn die Antwort werden Sie in diesem Prozess selbst finden, fehlen mir von Ihnen einige Informationen: Sind Sie verheiratet? Was ist Ihr beruflicher Hintergrund? Sind Sie zurzeit erwerbstätig? Haben Sie gemeinsame Schulden? Gibt es ein Umfeld, das Sie unterstützen könnte?

Diese Informationen könnten Ihnen einen Möglichkeitsraum eröffnen, zu dem Sie in dieser angespannten und beängstigenden Situation keinen Zugang haben. Bevor Sie also eine Entscheidung treffen, empfehle ich Ihnen, diese Inventur zu machen und diese Fragen zu beantworten, sich zu sortieren, um so wieder Orientierung und innere Stabilität herzustellen.

"Mein Ansinnen ist es, Sie in ein Gefühl der finanziellen und emotionalen Autonomie und Sicherheit zu begleiten." Sandra Teml-Wall, Familienberaterin

In Wien etwa gibt es auf jedem Magistratischen Bezirksamt kostenlose Rechtsberatung. Mein Ansinnen ist es, Sie in ein Gefühl der finanziellen und emotionalen Autonomie und Sicherheit zu begleiten. Aus dem heraus können Sie dann nächste Schritte entscheiden.

Zum Führen einer Beziehung braucht es zwei Menschen, zum Beenden nur einen. Wenn es Ihnen gelingt, aus der Position des gefühlten Ausgeliefertseins herauszutreten und eine neue Position einzunehmen, dann wird auch Ihr Mann Ihre Entschlossenheit bemerken. Sie haben somit wieder Augenhöhe hergestellt. Ihre Kinder würden dann eine Frau sehen, die Verantwortung übernimmt. Das ist etwas anderes, als an etwas schuld zu sein.

Ihnen beiden als Paar scheint es nicht gemeinsam zu gelingen, das emotionale familiäre Klima zu verändern (hoher Stress, gepaart mit Ängsten). Ich ermutige Sie, die Veränderung zu sein, die Sie sich wünschen. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung und Begleitung, jemanden, der Sie wohlwollend an der Hand nimmt und Sie daran erinnert, wer Sie sind und wozu Sie in der Lage sind?

Ich wünsche Ihnen bei Ihren nächsten Schritten und bei Ihrem Wachsen von Herzen alles Gute. Ich weiß, dass es möglich ist! (Sandra Teml-Wall, 28.3.2024)

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

In Ihrer Anfrage mischen sich verschiedene Ebenen, doch alles spitzt sich zu auf die Frage, ob Sie Ihren Mann verlassen sollen oder nicht. Ich verstehe Ihre Verzweiflung angesichts einer solchen Lebensentscheidung, aber eine Antwort darauf geben kann ich Ihnen leider nicht. Erstens weil das eine persönliche Entscheidung ist, die Ihnen keiner abnehmen kann, und zweitens weil das mit den spärlichen Informationen schon gar nicht möglich ist.

Jedenfalls haben wir es hier nicht mit einer Erziehungsfrage im engeren Sinn zu tun. Und doch will ich versuchen, Ihnen Denkanstöße dafür zu geben, wie Sie in dieser Zwickmühle, sich zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen, Orientierung finden.

Was sind die Gründe für den andauernden Streit mit Ihrem Mann? Weshalb hat die Paartherapie nichts gebracht? Da sich daran über so lange Zeit nichts geändert hat, scheint hier eine unheilvolle Verstrickung vorzuliegen. Mir scheint, dass Sie beide oder einer von Ihnen beiden in alten Mustern feststecken, das nicht erkennen und nicht herausfinden. Insofern könnte es hilfreich sein, wenn zumindest einer von Ihnen beiden versucht, das in einer Einzeltherapie zu klären. Etwa: Warum fühlen Sie sich so ausgeliefert? Warum spielen Sie mit, dass Sie von Ihrem Mann völlig finanziell abhängig sind? Wie kann es sein, dass er Geld hat, ohne dass er Gewinn macht beziehungsweise ohne dass Sie eventuell nachweisen können, dass da etwas faul ist? Haben Sie selbst einen Beruf? Was führt zu den dauernden Streitereien, wer beginnt und warum? Ist Ihr Mann nicht gut genug – wenn ja, warum? Was erwarten Sie sich denn von ihm, und was von Ihren Erwartungen ist realistisch?

"In einer Beziehung zu bleiben, in der Sie leiden, ist kein guter Rat, denn dann lernen die Kinder genau das und suchen sich später womöglich ebenfalls Partnerschaften, in denen sie nicht glücklich sind." Hans Otto-Thomashoff, Psychotherapeut

Was in Ihrer schwierigen Situation für die Kinder besser ist, ist natürlich eine wichtige Frage. Eltern sind ganz automatisch Vorbild für ihre Kinder. Das bedeutet im Normalfall das Vorleben einer Partnerschaft mit ihren Höhen und Tiefen. Wenn darin ein stabiler Halt gegeben ist, stimmt die Basis, selbst wenn es manchmal hoch hergeht. Sollte es Ihnen beiden nicht möglich sein, den Kindern eine solche ehrliche Normalität vorzuleben, kann eine Trennung besser sein. Auch Trennungen kommen im wirklichen Leben vor und zeigen Kindern, dass man als Mensch die Möglichkeit zur freien Entscheidung hat. Sie sollten die Frage nach einer möglichen Trennung daher so beantworten, wie Sie sie ohne Kinder entscheiden würden, denn Sie sind Vorbild! In einer Beziehung zu bleiben, in der Sie leiden, ist kein guter Rat, denn dann lernen die Kinder genau das und suchen sich später womöglich ebenfalls Partnerschaften, in denen sie nicht glücklich sind.

Falls es zu einer Trennung kommt, ist es so wie jetzt schon bei den Streitereien entscheidend, den Kindern zu erklären, dass all das nicht wegen ihnen geschieht. Kinder beziehen alles auf sich, neigen daher dazu, die Schuld am Streit der Eltern bei sich zu suchen. Ihnen muss erklärt werden: Auch Erwachsene sind Menschen, und da kann, ganz so wie bei Kindern, Streit vorkommen. (Hans Otto-Thomashoff, 28.3.2024)

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